Donnerstag, 28. Mai 2015

Ein Leben im Luxus – mit nur 40 Euro im Monat




Ein Hamburger lebt ein erstaunliches Leben, quasi ohne Geld: wohnen auf einem Hof, Reisen durch Europa, Rolex und Roquefort. Möglich macht das die Wegwerfgesellschaft – und auch das Internet.
Das Leben von Philipp Hauschild verschlägt Außenstehenden die Sprache. Nur 40 Euro gibt der 23-Jährige im Monat aus – für alles.

Dieser Betrag, von dem viele Familien gerade einmal einen Supermarkt-Einkauf bestreiten, reicht dem gelernten Industriekaufmann für ein erstaunliches Leben: Er wohnt auf einem schmucken Gut vor den Toren Hamburgs, reist durch Europa, trägt Markenkleidung und eine Rolex am Handgelenk.
Zum Frühstück gibt es Vollkornbrot, Ziegenkäse, Roquefort und reichlich Obst – in bester Bio-Qualität. Möglich macht ihm das eine Gesellschaft, die viel wegwirft, aber auch immer häufiger teilt.

Schatzkiste Müll

"Es gibt fast nichts, was man heutzutage nicht im Müll findet", sagt Hauschild und steuert in seinem Zimmer auf einen Berg Kleidung zu. Dort hebt er im Sekundentakt Klamotten in die Höhe und wirft sie demonstrativ aufs Bett – darunter eine Jacke von The North Face, ein Hemd von Aigner und ein Trenchcoat von H&M.
"Das habe ich alles aus Abfallcontainern von Unternehmen gefischt", sagt der schlaksige Mann mit einem Mix aus Abscheu und Stolz in der Stimme.
Vor Kurzem habe er auch eine Spiegelreflexkamera im Müll gefunden, erzählt er. Diese habe er aber an einen Freund verschenkt, der sie besser gebrauchen konnte als er.
Im Gegenzug habe er von Bekannten schon mal eine Gitarre oder eben die Rolex geschenkt bekommen: "Die wurde vom Juwelier nur aussortiert, weil der Verschluss etwas hakt", sagt Hauschild, der kürzlich durch Skandinavien gereist ist. Als Anhalter und dank gastfreundlicher Einheimischer hat ihn auch das nichts gekostet.

Das Netz - Marktplatz der Teilungswilligen

Viel möglich macht dem Hamburger auch das Internet. Derzeit sprießen Plattformen, die Menschen zum Teilen und nachhaltigen Konsum anregen, wie Pilze aus dem Boden: Da werden die eigenen Autos mit den Nachbarn geteilt, wildfremde Menschen zum Abendessen eingeladen, CDs gegen Bücher getauscht, Gärten der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt und private Zimmer als kostenlose Alternative zum Hotelangeboten.
Erst vor gut einem Monat startete die Initiative "foodsharing.de". Über das Webportal können Menschen ihr Essen, das sie selbst nicht mehr brauchen, an andere verschenken. Damit wollen die Initiatoren der Wegwerfmentalität vieler Bürger entgegenwirken.
"Kürzlich kam mir ein Bauer mit einem Anhänger voll Brot vom Vortag entgegen, das er an Schweine verfüttern wollte. So etwas darf nicht sein", sagt "foodsharing.de"-Sprecherin Ulrike Beck. Und das Konzept geht auf: Inzwischen haben schon über 350 Körbe mit mehr als einer Tonne Essen den Besitzer gewechselt. "Der Ansturm zum Start war so groß, dass unser Server zusammengebrochen ist", berichtet Beck.

Weggeworfene Lebensmittel trotz steigender Preise

Dennoch: Nach Angaben des Bundesverbraucherschutzministeriums wirft jeder Deutsche im Schnitt 81,6 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr weg, obwohl 65 Prozent davon vermeidbar wären.
Dabei steigen die Preise für Essen in Deutschland momentan so stark an, wie lange nicht mehr: So lagen die Preise im Dezember nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 4,8 Prozent über denen des Vorjahres. Das ist der stärkste Anstieg seit September 2008.
Beim Großteil der Bevölkerung findet aber erst langsam ein Umdenken statt: "Die neuen Initiativen sind erste zarte Pflänzchen, aber sie gedeihen gut", sagt die Soziologie-Professorin der Universität Frankfurt, Birgit Blättel-Mink.

Freiwilliger Verzicht auf 4350 Euro im Monat

Seit zwei Jahren forscht sie zu den sogenannten sozialen Innovationen. Die Projekte würden meist von kreativen jungen Leuten initiiert, die neue Geschäftsfelder suchten. "Als Kinder wurden sie stärker für ihre Umwelt sensibilisiert, weil ihre Eltern Katastrophen wie Tschernobyl miterlebt haben", sagt sie.
Bei Philipp Hauschild kam der Sinneswandel vor einem Jahr: Damals arbeitete er als Kaufmännischer Leiter bei einem Hamburger Finanzdienstleister. Nettogehalt: 4350 Euro.
Nach Feierabend kam er oft beim Occupy-Camp vorbei. Einmal blieb er stehen, kam ins Gespräch: "Mir ist bewusst geworden, dass ich von meinem Gehalt zehn Personen ernähren könnte und die Ressourcen in unserer Gesellschaft sehr ungerecht verteilt sind." Innerhalb weniger Monate stellte Hauschild sein Leben radikal um, kündigte Job und Wohnung, verzichtete auf Arbeitslosengeld.

Keine Angst vor Mülleimern

Momentan wohnt er in einem Gästehaus auf dem Gutshof. Eine Ärztin, die ebenfalls bei Occupy aktiv ist, hat es ihm und zwei weiteren Aktivisten kostenlos zur Verfügung gestellt.
Diesen Vorteil gibt Hauschild weiter: "Wir haben jede Woche Menschen aus aller Welt zu Gast, die hier übernachten", berichtet er. Organisiert wird auch das per Internet. Das Essen für sich und seine Gäste fischt Hauschild ebenfalls aus dem Müll. Dafür wühlt sich der hochgewachsene Mann jede Nacht durch Abfallcontainer, am liebsten durch die von Bioläden.
"Ich bin gegen die unnütze Massenproduktion von Lebensmitteln", begründet er seine Streifzüge. Hauschild rettet nachts so viel Essen vor dem Müllschlucker, dass er vieles per "Foodsharing" wieder abgeben kann. Am Ende bleibt die Frage, wofür der Hamburger überhaupt die 40 Euro im Monat ausgibt. Manchmal für Biokaffee, gesteht er. "Aber das meiste geht für Zigaretten drauf – die findet man nicht im Müll."

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